Rainer Gerecke
gestorben am 01.04.2000
in Güstrow
Rainer Gerecke wurde auf einer Landstraße bei Güstrow angefahren und starb wenig später, am 1. April 2000 im Krankenhaus. Die Umstände seines Todes sind bis heute nicht geklärt. Sein Bruder hatte zuvor beobachtet wie er bei drei Jugendlichen in Greifswald in ein Auto stieg. Es wird vermutet, dass sie ihn verletzt an der Landstraße ausgesetzt haben.
Rainer Gerecke wurde am 15. September 1950 in Greifswald geboren. Er wuchs mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Klaus-Dieter in schwierigen Verhältnissen bei ihrer Mutter im Brinkhof auf.
Die bisherigen Erkenntnisse über Rainer Gereckes Leben basieren vor allem auf Dokumenten des DDR-Apparats, in dessen Raster Rainer Gerecke schon früh landet. Er besuchte bis zur siebten Klasse eine Sonderschule und fing bereits mit 16 Jahren eine schwere körperliche Arbeit beim Fleischkombinat in Greifswald an. Nach zwei Jahren im Betrieb wird ihm ein übermäßiger Alkoholkonsum zugeschrieben, der eine Entlassung zur Folge hat. Kurze Zeit später wird Rainer Gerecke erstmals wegen Diebstahls angeklagt. Er hatte betrunken bei seinem alten Arbeitgeber ein paar Würstchen und beim Bäcker einen Sack Brötchen geklaut. Im Gerichtsverfahren wurde ihm von einem Sachverständigen eine Psychose attestiert und eine damit einhergehende Haftunfähigkeit attestiert – in der DDR ein durchaus ungewöhnlicher Vorgang. Stattdessen wird die vorübergehende Einlieferung in eine Nervenheilanstalt angewiesen.
Doch es blieb nicht Rainer Gereckes einziger Konflikt mit den DDR-Gesetzen. Ab 1975 sitzt er immer wieder kleinere Haftstrafen ab – meist wegen Diebstahls. Bis zum Zusammenbruch des Systems verbringt er er fast zehn Jahre in geschlossenen Einrichtungen.
Nach der sogenannten Wende zieht Rainer Gerecke in eine Wohnung am Rand von Greifswald. Das große Wohnhaus in der Gützkower Landstraße wird in der Stadt „Klein Chicago“ genannt. Als mit dem Systemwechsel die Mieten überall enorm stiegen, wurden die günstigen und schlecht ausgestatteten Wohnungen vor allem Asylsuchenden, Sozialhilfeempfänger:innen und Wohnungslosen zugewiesen. Rainer und sein Bruder Klaus, die beide bis 1990 viel Zeit in geschlossenen Einrichtungen verbrachten, unternahmen nun sehr viel zusammen und waren sich gegenseitig eine Stütze. Man sah sie oft zusammen durch die Stadt ziehen. Mit ihren Freund:innen in der Tagesstätte der Diakonie unternahmen sie auch gemeinsame Ausflüge.
Auch an einem Frühlingstag im Jahr 2000 waren Rainer und Klaus gemeinsam unterwegs. Laut einer Bericht der Ostsee-Zeitung hat Klaus-Dieter Gerecke in der Stralsunder Straße in Greifswald gesehen, wie sein Bruder von einem Auto angefahren oder überfahren wurde. Drei Jugendliche hätten dann ihre Hilfe angeboten und vorgegeben ihn mit ihrem Auto ins Krankenhaus zu bringen. Er stieg ein, sei aber nie im Krankenhaus angekommen.1Ostsee-Zeitung vom 29.6.2000
Zeitzeug:innen sagen, dass sich zu dieser Zeit oft junge Männer, vor allem aus der Tuner-Szene, aber auch Jugendliche mit rechter Einstellung an der Shell-Tankstelle in der Stralsunder Straße getroffen hätten und dort an ihren Autos rumschraubten. Ob Rainer Gerecke tatsächlich freiwillig in ein Auto stieg oder gewaltsam in ein Auto gezogen wurde, kann nie rekonstruiert werden. Auch ist heute nicht mehr mit Sicherheit zu sagen, wie viel Zeit zwischen seinem Verschwinden in Greifswald und dem Auffinden an einer Landstraße im gut 100 Kilometer entfernten Güstrow vergangen ist, oder was in der Zwischenzeit passierte. Eine Vermutung, die auf der Aussage seines Bruders basiert, ist, dass er angefahren wurde, eventuell unter der Vortäuschung falscher Tatsachen in das Auto gelockt wurde und die jungen Männer ihn dann bei Güstrow aus dem Auto warfen. Da ihn dort eine weitere Autofahrerin erfasste, verstarb er nach einem mehrtägigen Koma im Krankenhaus. Sein Tod wurde von der Polizei als Verkehrsunfall eingestuft. Die Mitarbeiter der Tagesstätte der Diakonie wurden vom Krankenhaus benachrichtigt. Sie sagen Rainer hätte Greifswald nie verlassen, er kannte gar nichts anderes und wäre nie allein an einen unbekannten Ort gefahren. „Klaus und Rainer kannten Greifswald wie ihre Westentasche, aber wenn die mal woanders waren haben die sich sofort verlaufen.“2Interview 8/2021
Daher glauben sie auch nicht an einen Unfall oder Selbstverschulden.
Dieser Ablauf erinnert an den Fall von Horst Genz. Die Ermittlungsergebnisse im Fall Rainer Gerecke sind jedoch nicht bekannt. Als sicher gilt nur, dass er eines unnatürlichen Todes starb.
In einigen Artikeln nach dem Tod von Eckard Rütz wurde Rainer Gerecke zusammen mit jenem, seinem Bruder und Horst Diedrich als „einer von vier getöteten Obdachlosen in Greifswald“ genannt. Da seine Todesumstände ungeklärt blieben hat sich kein Gedenken für ihn etabliert. Auch wenn niemand mehr mit einer Aufklärung rechnet, ist es seinen Freunden bis heute wichtig, dass an ihn erinnert wird.