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KEIN VERGESSEN.

TODESOPFER RECHTER GEWALT IN M-V

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Toni Beustier

gestorben am 19.08.2000
in Neubrandenburg

Toni Beustier starb am 19. August 2000 in Neubrandenburg infolge eines Angriffs dreier Jugendlicher, die ihn am Vortag brutal misshandelten und zusammenschlugen. Verschiedene Indizien weisen auf ein mögliches rechtes Tatmotiv hin, dies wurde vom Gericht jedoch nicht ausreichend geprüft.

Toni Beustier wurde 1985 geboren. Nach dem frühen Tod seiner Mutter wuchs er mit seinem älteren Bruder bei den Großeltern in Neubrandenburg auf. Von Freund:innen und Verwandten wird Toni als ein zurückhaltender, schüchterner und recht kindlich wirkender Jugendlicher beschrieben. Er sei sehr freundlich und zuvorkommend gewesen. Toni habe nie einen Geburtstag vergessen und ihr stets seine Lieblingsblume – eine Rose – mitgebracht, erinnerte sich seine Großmutter liebevoll.

Die Tat

Der 18. August 2000 ist der letzte Tag der Sommerferien. Für den Start der 9. Klasse am Montag hat Toni Beustier bereits alles vorbereitet und beschließt, mit zwei Freunden ins Kino zu gehen. Weil der Film altersbeschränkt ist, wird ihnen jedoch der Einlass verwehrt. Deshalb entscheiden sich die drei, zu einem Garagenkomplex im Norden Neubrandenburgs zu gehen, um anderen Jugendlichen dabei zuzuschauen, wie sie an ihren Mofas und Trabis schrauben. Toni Beustiers Freunde gehen allerdings schon bald nach Hause. Er bleibt alleine auf einem ausrangierten Autosessel auf dem Platz zurück.
Dann kommen drei junge, stark alkoholisierte Männer – 16, 19 und 21 Jahre alt – hinzu. Sie treffen sich häufig an den Garagen mit ihrer Clique. An diesem Freitagabend werden sie von zwei Freundinnen begleitet. Als sie auf Toni Beustier treffen, reden sie zunächst kurz freundlich mit ihm, fangen dann jedoch unvermittelt einen Streit an. Der Auslöser ist nur konstruiert, ein Kleidungsstück war heruntergefallen. Die Männer eskalieren die Situation immer weiter. Sie ohrfeigen Toni Beustier und treten nach ihm. Die Freundinnen der Angreifer entfernen sich vom Garagenkomplex, ohne einzugreifen oder Hilfe zu holen. Der verletzte, weinende Toni Beustier bittet die Täter vergeblich, aufzuhören – und versucht vergeblich, zu entkommen.
Die Misshandlungen dauern fast eine Stunde. Als die Angreifer Toni Beustier auffordern, Liegestütze zu machen und er dazu nicht mehr in der Lage ist, »bestrafen« sie ihn wegen vermeintlicher »Befehlsverweigerung«. Toni Beustier verliert das Bewusstsein und bleibt schwer verletzt und regungslos am Boden liegen. Die Täter entschließen sich bewusst, keine Hilfe zu holen und verlassen den Tatort. Zwei von ihnen kehren kurz darauf noch einmal zurück, da sie Handy und Portemonnaie bei den Garagen vergessen haben, und lassen Toni Beustier erneut zurück.
Am späteren Abend finden zwei Zeugen Toni Beustier leblos auf und rufen einen Rettungswagen. Toni Beustier stirbt am 19. August 2000 im Krankenhaus an seinen schweren inneren Verletzungen, ohne noch einmal das Bewusstsein erlangt zu haben.

Kurzer Prozess und mildes Urteil

Schon am Tag nach dem tödlichen Angriff wurden die drei Täter festgenommen. In ihren Vernehmungen gestanden sie den tödlichen Angriff auf Toni Beustier – empathielos und ohne jegliche Emotionen beschrieben sie die tödlichen Misshandlungen. Sie hätten einfach »einen aufmischen« wollen und »aus Frust und Langeweile« gehandelt.

Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg klagte die drei jungen Männer wegen gemeinschaftlichen Mordes an, doch das Gericht konnte keinen Mordvorsatz feststellen. Im Februar 2001 verurteilte das Landgericht Neubrandenburg Roman W. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu sieben Jahren. Die 16- beziehungsweise 19-jährigen Mittäter wurden nach Jugendstrafrecht zusätzlich wegen Totschlags durch Unterlassung zu insgesamt sechs sowie sechseinhalb Jahren Jugendhaft verurteilt, da sie nochmals an den Tatort zurückgekehrt waren und ihr schwerverletztes Opfer abermals zurückgelassen hatten.
Der Vorsitzende Richter wurde zitiert, dass der Tod von Toni Beustier zu den »schlimmsten Verbrechen, denen er in seiner fast 20-jährigen Berufspraxis begegnen musste« gehöre. Die Alkoholisierung aller drei Täter und ihre »geringe Intelligenz« hätten sich dennoch strafmildernd ausgewirkt12001 – Nordkurier – Richter spricht von schlimmster Untat.
Da zwei der Täter noch minderjährig waren, wurde die Öffentlichkeit gleich am ersten Prozesstag von der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Das bedeutete, dass weder die Mitschüler:innen von Toni Beustier, die zu Prozessbeginn im Verhandlungssaal anwesend waren noch viele andere Besucher:innen die juristische Aufarbeitung des Todes von Toni Beustier beobachten konnten. Trotzdem kamen zur Urteilsverkündung am 2. Februar 2001 mehr als 150 Menschen. Die Reaktion auf das Urteil war einhellige Enttäuschung über das niedrige Strafmaß.

Das Motiv – Nur »Frust und Langeweile« oder auch rechte Ideologie?

Von offizieller Seite wurde ein rechtes Motiv unter anderem deshalb ausgeschlossen, weil die drei Täter nicht in das damals gängige Bild von Rechtsradikalen passten: »Die Haare sind kurz, aber nicht geschoren. Einen rechtsradikalen Hintergrund für die Tat gebe es nicht.«22001 – Schweriner Volkszeitung – Mitschüler des Mordopfers warten vor dem Gericht Dass die Clique, in der sich die Täter bewegten, gerne gemeinsam menschenverachtenden Rechtsrock hörte und der Garagenkomplex, an dem sich die Jugendlichen häufig aufhielten, mit rechten Motiven wie Hakenkreuzen, Keltenkreuzen oder Schriftzügen wie »DVU« (Abkürzung für die extrem rechte Partei »Deutsche Volksunion«) markiert war, wurde bei der Suche nach dem Tatmotiv sowohl von der Justiz als auch von der städtischen Öffentlichkeit schnell als irrelevant abgetan. Auch dass die drei jungen Männer wegen Gewaltdelikten bereits polizeibekannt und der jüngste Angreifer zudem wegen des Sprühens eines Hakenkreuzes nach §86a StGB verurteilt worden war, blieb im Strafprozess und der begleitenden Berichterstattung unbeachtet. Lediglich zu Prozessbeginn im Januar 2001 war eine mögliche Verankerung der Täter in rechten Kreisen kurz Thema: Einer der Verteidiger wehrte das Gerücht, sein Mandant würde der rechten Szene angehören, als Vorverurteilung ab.

Auch wenn bis heute keine konkreten Hinweise auf eine Zugehörigkeit der Angreifer zu organisierten Neonazistrukturen bekannt sind, hätte ein hinreichender Anfangsverdacht auf die Bestärkung der Tatmotivation durch rechte Ideologie(fragmente) wie Sozialdarwinismus durchaus vorgelegen. Denn in der Tatbegehung gibt es einige Hinweise darauf. So erinnert der Fakt, dass die drei Männer Toni Beustier zu Liegestützen zwangen und seinen Kräfteverlust sowie seine Angst mit brutalsten Schlägen und Tritten »bestraften«, an einen Gewalthabitus und Männlichkeitsbilder, wie sie typisch für die rechte Szene sind: Der rechte Kodex, Abweichung von der Norm mit Gewalt zu sanktionieren, prägte die Sozialisation vieler Jugendlicher in Neubrandenburg und weiten Teilen Ostdeutschlands – weit über den organisierten Kern der Neonazis hinaus.

So ist es denkbar, dass die Täter Toni Beustier an diesem Abend angriffen, weil er als etwas jünger wirkender, unbeholfener oder unsportlicher Junge mit Ohrring nicht dem heteronormativen Männlichkeitsideal der rechten Szene und der Angreifer entsprach. Die Umstände der Tat lassen den Schluss zu, dass sie möglicherweise eben nicht einfach irgendwen »aufmischen« wollten, sondern ihre autoritären Fantasien auslebten und gezielt einen vermeintlich Schwächeren erniedrigten und schließlich töteten.
Durch den frühen Ausschluss eines rechten Motivs in den Ermittlungen und dem quasi Ausblenden dieser Möglichkeit im Gerichtsprozess lassen sich diese Verdachtsmomente und Schlussfolgerungen weder erhärten noch widerlegen, so dass der Tod von Toni Beustier in Bezug auf eine rechte Motivation der Täter als Verdachtsfall zu werten ist.

Umgang mit der Tat in den lokalen Medien

Als die Aussagen der Täter über ihre Motivation in der Regionalzeitung Nordkurier öffentlich wurden, begann eine breit geführte Debatte darüber, dass fehlende Perspektiven und Angebote für junge Menschen in Neubrandenburg zu Jugendgewalt führen würden. Dabei wurde der tödliche Angriff auf Toni Beustier häufig als Ausdruck dieser »Perspektivlosigkeit« verharmlost, die Täter zu Opfern ihrer Umstände verklärt.
In der Berichterstattung, etwa durch den Nordkurier oder die Schweriner Volkszeitung, stand der Tod Toni Beustiers auch häufig im Kontext der Tötungen von Norbert Plath, Klaus-Dieter Gerecke, Jürgen Seifert und Eckard Rütz. Sie wurden im gleichen Jahr aus sozialdarwinistischen Motiven getötet. Dennoch wurde in der Berichterstattung zu keiner Zeit versucht, im Fall von Toni Beustier den Zusammenhang zu möglicherweise handlungsleitenden rechten Ideologien herzustellen.
Bestürzung und Gedenken
In der Zeit direkt danachlöste die Tat in Neubrandenburg große Bestürzung aus. Zur Beisetzung Toni Beustiers kamen über 100 Personen. Ein alljährliches Radrennen von Schüler:innen der Viertorestadt, das im September 2000 von der Polizeidirektion und dem Polizeisportverein unter dem Motto »Sport statt Gewalt« abgehalten wurde, hatte laut der Presse »riesige Resonanz«. 500 Schüler:innen hielten eine Schweigeminute für Toni Beustier ab und ließen Luftballons steigen. Auch in den Folgejahren wurde bei der Veranstaltung an ihn erinnert. Toni Beustiers Großeltern traten nach der Tat wiederholt mahnend in der Presse auf und riefen zu mehr Engagement gegen Jugendgewalt auf:

Wir rufen alle auf: Lasst so etwas nie wieder geschehen. Seht nicht weg. Seid wachsam. Helft Schwachen. Bietet Eure Hilfe an. Es soll wachrütteln, damit nie wieder so etwas Schreckliches passiert. Diesen Appell sind wir unserem Jungen schuldig.

Hannelore Beustier

Im Jahr 2006 gründete sich der sozialpädagogische Verein »T.O.N.I.« (Toleranz, Offenheit, Neutralität, Integration) mit der Idee eines neuen Jugendclubs in Erinnerung an Toni Beustier. Viele Jahre sammelten die Initiator:innen Geld und machten mit großen Konzerten in der Neubrandenburger Konzertkirche auf ihr Anliegen aufmerksam. Im Jahr 2013 konnte dann auf dem Neubrandenburger Datzeberg der Treffpunkt »T.O.N.I.« eröffnet werden. Der Verein lobt außerdem jährlich den »T.O.N.I.-Award« für Zivilcourage aus.

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